Im 19. Jahrhundert verstand sich Deutsche Philologie als Wissenschaft aller germanischen Sprachen und Kulturen. In der ersten Zeit nach der Gründung der Lehrkanzel für Deutsche Philologie an der Universität Wien im Jahre 1850 fanden jedoch skandinavi(sti)sche Belange zunächst noch keine besondere Beachtung.
Erst mit der Berufung Richard Heinzels (Beginn seiner Lehrtätigkeit: 1873) erhielt die Nordische Philologie in Verbindung mit Germanischer Altertumskunde Auftrieb. Eines der Hauptwerke Heinzels, die 'prästrukturalistische' Beschreibung der isländischen Saga (= Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Philosoph.-histor. Classe, 97; Wien 1881) ist übrigens fast hundert Jahre später, und zwar 1977, nachgedruckt worden. Einer der bedeutendsten Schüler Heinzels war Ferdinand Detter (1864−1904). Insofern sich seine Venia explizit auf "Nordische Sprachen und altgermanische Dialekte" bezog, ist er der erste Fachvertreter der Nordischen Philologie in Wien. Der Plan allerdings, die Skandinavistik an der Wiener Universität an die Person Detters zu knüpfen und in vollem Umfang zu etablieren, scheiterte: Detter erhielt 1898 einen Ruf nach Freiburg in der Schweiz. Zu seinen wichtigsten Werken zählen eine Edition der Hrólfs saga Gautrekssonar und der Ásmundar saga kappabana (Zwei Fornaldarsögur, Halle/Saale 1891) sowie (in Zusammenarbeit mit Richard Heinzel) eine Edda-Ausgabe samt Kommentar (zwei Bände, Leipzig 1903).
Ein weiterer Schüler Heinzels war Rudolf Much (1862−1936), ab 1904 Extraordinarius und ab 1906 Ordinarius für Germanische Sprachgeschichte und Altertumskunde. In seinen Lehrveranstaltungen und in den zahlreichen, meist altertumskundlichen Publikationen − das opus magnum ist der postum erschienene Germania-Kommentar (Heidelberg 1937) − fand Skandinavien und Altskandinavistisches Berücksichtigung.
Die Nachfolge Muchs trat dann 1934 Walter Steinhauser (1885−1980) an, der auch eine Reihe altskandinavistischer Lehrveranstaltungen abhielt. 1941 nahm Vagn Börge (Habilitation 1933 und 1946) seine umfangreiche Lehrtätigkeit über skandinavische, insbesondere dänische Literatur auf. 1945 wurde die 'Much-Lehrkanzel' aufgehoben und Steinhauser in den Ruhestand versetzt.
Die (Alt-)Skandinavistik hatte aus begreiflichen Gründen in der Nachkriegszeit zunächst wenig Konjunktur. - Ernst Krenn (1897−1954), der bereits mit einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen (hauptsächlich zum Thema Färöer bzw. Färöisch) hervorgetreten war, habilitierte sich 1950 für das Gesamtfach Skandinavistik, verunglückte jedoch nur wenige Jahre später tödlich.
Einen ziemlichen Aufschwung erfuhren die Germanische Altertumskunde und die Altskandinavistik durch die Berufung des - nationalsozialistisch schwer belasteten - Much-Schülers Otto Höfler (1901−1987) auf den Lehrstuhl für Deutsche Sprache und ältere deutsche Literatur, den er von 1957 bis 1971 innehatte. Von den zahlreichen einschlägigen Publikationen Höflers sind vor allem seine Arbeiten über den Rök-Stein (1952, 1963, 1966) hervorzuheben.
Nach seiner Emeritierung, und zwar in den Jahren von 1966 bis 1972, lehrte auch der schwedische Sprachwissenschaftler und Skandinavist Björn Collinder (1894−1983) an der Wiener Universität. − Lektorate gibt es für Dänisch seit 1946, für Schwedisch seit 1972, für Norwegisch seit 1973.
Otto Gschwantler, ein Schüler Otto Höflers, habilitierte sich 1971 für Ältere deutsche und nordische Philologie und wurde zum Extraordinarius ernannt. Unter seiner Ägide wurde 1984 ein regulärer Studiengang Skandinavistik eingerichtet, zunächst nur als Studienversuch, ab 1992 dann schließlich als reguläres Studium (mit einem zusätzlichen Lektorat für Isländisch). In dieser 'Übergangszeit' habilitierten sich Hermann Reichert (Ältere deutsche und nordische Philologie, 1984) und Rudolf Simek (Ältere nordische Philologie, 1991).
1996 wurde Sven Hakon Rossel zum Ordinarius für Neuere skandinavische Literatur bestellt. 2001 erfolgte die Gründung einer eigenen Abteilung Skandinavistik am Institut für Germanistik; seit 2005 ist die Abteilung Skandinavistik Teil des neugegründeten Instituts für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft. 2004 habilitierte sich Robert Nedoma (Ältere skandinavische Philologie und Ältere deutsche Philologie), 2005 Roger Reidinger (Skandinavische Sprachwissenschaft); beide wurden 2010 zu außerordentlichen Professoren ernannt. Nach der Emeritierung Rossels wurde Antje Wischmann 2014 zur Professorin für Neuere Literatur- und Kulturwissenschaft bestellt. 2019 wurde Robert Nedoma zum Professor für Altnordistik (und Altgermanistik) berufen.
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Literatur: Otto Gschwantler, Skandinavistik an der Universität Wien. In: Österreichs Beitrag zur Islandforschung, ed. Helmut Neumann (Wien 1987), S. 144−154; Peter Wiesinger / Daniel Steinbach, 150 Jahre Germanistik in Wien. Ausseruniversitäre Frühgermanistik und Universitätsgermanistik (Wien 2001), S. 46 ff. (Heinzel), 68 (Detter), 69 ff. (Much), 91 ff. (Steinhauser), 103 ff. (Höfler), 124 (Börge), 124 f. (Krenn). − Speziell zur (umstrittenen) Person Otto Höflers s. den Nachruf von Helmut Birkhan in: Almanach der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 138 (1988), S. 385−406 (mit weiterer Lit.); dazu Birkhans Ausführungen im Vorwort zu: Otto Höfler, Kleine Schriften (Hamburg 1992), S. IX−XVI; ferner Heinrich Beck, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde ²XV (2000), S. 30−34 und Julia Zernack, Kontinuität als Problem der Wissenschaftsgeschichte. Otto Höfler und das Münchner Institut für Nordische Philologie und Germanische Altertumskunde, in: Kontinuität in der Kritik, ed. Klaus Böldl / Miriam Kauko (= Rombach Wissenschaften, Reihe Nordica 8; Freiburg/Br. 2005), S. 47−72. Regesten zu Archivmaterialien bringen Gerd Simon et al., Chronologie Nordistik, Schwerpunkt Otto Höfler (²2004; online hier).